Xiaomi Mi 6 im Test
Good artists copy, great artists steal - das Xiaomi Mi 6 im Test
„Gute Künstler kopieren, großartige Künstler klauen“, zitierte Steve Jobs Picasso. Denn kopieren heißt, die selbe Sache nachzumachen, ohne Sinn und Verstand. Wer klaut, behält, und macht sich die fremde Idee zu eigen. Er versteht die Idee auf einem tiefere Level, er versteht, was daran so gut ist und entwickelt sie weiter. So, wie der der erste Macintosh eben auf dem Xerox Alto basierte, die Innovationen aber weiter trieb und einem größeren Kundenkreis zugänglich machte.
Der chinesische Hersteller Xiaomi fristet in Deutschland ein Nischendasein, obwohl er zeitweise bereits der drittgrößte Smartphone-Hersteller der Welt war. Grund ist sicherlich, dass Kunden in Deutschland Xiaomi-Smartphones lediglich von chinesischen Händlern bestellen konnten, die das Gerät per Schneckenpost um die Welt schickten. Ohne Garantie, mit langer Wartezeit und ohne Steuern und Zölle zu zahlen — außer das Telefon wird an der Grenze erwischt. Dann sind Nachzahlungen und ein Besuch beim Zollamt fällig. Glücklicherweise hat sich vor kurzem die Lage geändert, und Händler wie Cyberport bieten die Produkte 100 Prozent legal und mit Garantie an.
Auf den ersten Blick sieht man, wer das große Vorbild ist. Ob fehlende Klinkenbuchse, Glasrückseite oder randloses Display: Der Apfel gibt vor, Xiaomi folgt. Doch Moment, das Mi Mix aus der Feder von Stardesigner Philippe Starck wurde elf Monate vor dem iPhone X vorgestellt. Also was ist Xiaomi nun? Ein guter oder doch ein großartiger Künstler? Stimmt das Gesamtpaket? Das soll das aktuelle Mainstream-Flaggschiffmodell der Chinesen nun beweisen.
Xiaomi Mi 6
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Top User-Experience
Auf Augenhöhe mit Flagschiff-Smartphones, die meist deutlich mehr kosten
Extrem schnell
Durchdachtes Interface mit Zusatzfunktionen
Hervorragendes Display
Xiaomi bietet jahrelang Updates an
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Keine Kopfhörerbuchse
Fest verbauter Akku
Ohne Hülle rutscht es
Manche Softwareupdates haben Bugs
Hersteller Xiaomi, der unbekannte Gigant
Angefangen hat die Erfolgsgeschichte mit MIUI, dem Android-basierten Betriebssystem von Xiaomi. Ursprünglich wurde MIUI für Telefone anderer Hersteller als Alternative entwickelt — schnell überzeugte es zahlreiche Nutzer. Es folgten eigene Smartphones, doch im Herzen ist Xiaomi nach wie vor auch eine Software-Firma – mit viel Expertise auf dem Gebiet.
Auf teure Werbekampagnen verzichtet Xiaomi. Stattdessen wird auf Mundpropaganda und äußerst attraktive Preise gesetzt. Techblogs und YouTuber auf der ganzen Welt berichten über die Firma, ganz gleich, ob die Hauptleserschaft überhaupt in der Lage ist, die Geräte zu bekommen. Xiaomi ist erstaunlich transparent und gibt zu, dass sie durch den Fokus auf wenige Produkte mit sehr langen Produktionszeiträumen — das Mi 2 war 26 Monate auf dem Markt — bei den Zulieferern sehr gute Preise aushandeln können. Auch die hohen Entwicklungskosten werden so gesenkt. Eine ähnliche Strategie verfolgt Apple.
Zudem betreibt Xiaomi ein eigenes Ecosystem, welches ebenfalls profitabel ist und ermöglicht, dass die Smartphones ohne großen Preisaufschlag verkauft werden. Neben eigenem App Store, um den in China unterbundenen Play Store zu ersetzen, stellt Xiaomi gemeinsam mit Partnerunternehmen eine Reihe unterschiedlichster Produkte her. So gibt es von Xiaomi alles: von Powerbanks und Notebooks über smarte Reiskocher sowie Staubsaugerroboter bis hin zu Laser-Projektoren für das Heimkino — und die Fans kaufen es im blinden Vertrauen auf beste Qualität und hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Nur das Nötigste
In der schlichten, weißen Box befinden sich neben dem Smartphone eine kurze Anleitung, ein Schnellladegerät für deutsche Steckdosen samt USB-C-Lade- und Datenkabel sowie ein USB-C-zu-Klinke-Adapter für altmodischere Kopfhörer. Aus Kostengründen verzichtet Xiaomi darauf, ein eigenes Headset mitzuliefern. Dafür ist eine transparente Hülle aus TPU in der Verpackung. Sie ist besonders schlank, schützt aber lediglich die Rückseite.
Optik & Haptik Handschmeichler
Das Mi 6 offenbart auf dem ersten Blick eine gesunde Portion chinesischer Kopierkunst. Irgendwie sieht das nur 7,45 Millimeter schlanke Designerstück vertraut aus, immerhin nutzt es Designelemente anderer Spitzengeräte. Die Haptik ist auf dem Niveau eines Oberklasse-Smartphones, mit sattem Gewicht und kleinsten Spaltmaßen. Auch die Frontkamera ist perfekt mittig am dafür vorgesehenen Ort eingelassen – etwas, das nicht jeder Hersteller in der 700-Euro-Klasse schafft.
Vorder- und Rückseite bestehen aus Glas, der Rahmen ist aus Metall, schwarz und beinhaltet dezent eingearbeitete Antennen. Für einen fließenden Übergang sind die Glasscheiben gewölbt. Auf der Vorderseite fällt diese sehr gering aus. Mir gefällt das, denn so stört es nicht in der Bedienung sondern fühlt sich angenehm an. Die Rundung der Rückseite ist deutlich ausgeprägter und liegt damit gut in der Hand.
Unter dem 5,15 Zoll großen Display sitzt der in das Glas eingelassene Fingerprint-Sensor, der auch als Home-Taste dient. Umrandet wird der biometrische Sensor von der Zurück- und Menü-Taste, deren Position von je einer weißen LED preisgegeben wird. Das spart Platz auf dem Display. An der Oberseite ist ein Infrarotsender, wodurch das Mi 6 zur Universalfernbedienung wird. Die Unterseite wird von Lautsprecher, Mikrofon und USB-Typ-C-Port geziert. Der Einschub für beide Nano-SIM-Karten befindet sich links vom Display. Rechts sind die Power- und Lautstärke-Tasten, die sich alle gleich solide anfühlen und einen guten Druckpunkt haben.
Beim Versuch, Fotos von der Schönheit zu machen, stellte sich ein Bonus-Feature heraus: Das Mi 6 dient auch als Wasserwaage, und rutscht selbst auf vermeintlich flachem Untergrund weg. Dabei ist die Rückseite bereits griffiger als die Vorderseite. Kein Wunder, dass eine Hülle im Lieferumfang enthalten ist.
Zu guter Letzt ist das Mi 6 spritzwassergeschützt. Unfälle sind daher im Idealfall abgedeckt, zur Unterwasserfotografie eignet es sich aber definitiv nicht.
Die Crème de la Crème
Für Spitzenperformance sorgt ein Qualcomm Snapdragon 835 mit acht Kernen. Unterstützt wird das Paket von satten sechs Gigabyte RAM. Zum Vergleich: Das Galaxy S9 hat vier Gigabyte, das iPhone X sogar nur drei Gigabyte. Selbst zahlreiche Windows-Computer bieten weniger.
Mit 64 Gigabyte internem Speicher ist für die meisten Nutzer ausreichend Platz vorhanden, das ist auch gut so, denn einen microSD-Slot sucht man vergebens. Mit einer Lese-Geschwindigkeit von 406 Megabyte pro Sekunde und einer Schreib-Geschwindigkeit von 217 Megabyte pro Sekunde schlägt der Speicher selbst schnelle SD-Karten um das zwei- bis vierfache.
Performance Ein Multitasking-Traum
Schon beim Entsperren per Fingerabdruck merke ich die schiere Leistungsfähigkeit dieses Telefons. In dem Moment, in dem ich den Home-Button berühre, bestätigt das Mi 6 dass es mich erkannt hat. In kürzester Zeit ist es an und entsperrt.
Sechs Gigabyte Arbeitsspeicher mag exzessiv klingen, aber den Unterschied zu meinem Telefon mit „nur“ vier Gigabyte RAM (und einem Snapdragon 820) merke ich im Alltag deutlich. Früher hatte ich mit MIUI das Problem, dass es zu aggressiv Programme im Hintergrund beendet hat. Das hat Xiaomi behoben, maximal ein Gigabyte bleibt frei. Programme, die ich zuletzt gestern genutzt habe, warten immer noch im Hintergrund und sind in Sekundenbruchteilen wieder da — an der Stelle, an der ich zuletzt aufgehört habe.
Überhaupt konnte ich nach zwei Monaten Nutzung noch keine Verlangsamung feststellen. Ganz gleich, was im Hintergrund läuft und was ich mache, das Mi 6 wirkt so schnell wie am ersten Tag. Mein V20 ist bei ähnlicher Nutzung bereits längst ins Stottern geraten. Sogar die Bildbearbeitung von RAW-Fotos in Lightroom CC stellt kein Problem dar. Und spart MIUI doch etwas zu aggressiv Energie, füge ich via Sicherheits-App Ausnahmen hinzu.
Antutu 7.0.4 belegt, wie leistungsstark das Mi 6 ist. Satte 207.794 Punkte sprechen eine ganz eindeutige Sprache. Dabei wird es nicht einmal warm. Auch in Geekbench 4 lässt der Prozessor seine Muskeln spielen: 1.923 im Single-Core-Test und 6.648 im Multi-Core-Test bringen das Telefon an die Spitze der Charts, und das obwohl Apps wie der Messenger im Hintergrund liefen und das Mi 6 bereits eine Weile im Einsatz war. Die Grafik-Leistung stimmt ebenfalls: Im GeekBench-OpenCL-Test kommt es auf 10.576, im RenderScript-Test auf 7.881. Zu guter Letzt 3D Mark: Bei „Sling Shot Extreme“ erreicht es beeindruckende 3.750 Punkte im OpenGL- und 2.932 Punkte im Vulkan-Test.
Empfangsqualität Ohne Band 20
Da das Mi 6 hauptsächlich für den chinesischen Markt entwickelt wurde, unterstützt es kein LTE Band 20. Daher gibt es in manchen Gegenden keinen LTE-Empfang. Für mich ist die Verbindungsqualität aber so gut wie bei meinem LG V20. Auch die Sprachqualität des Dual-SIM-Smartphones ist gut. Die zweite SIM-Karte steht allerdings nur für Gespräche zur Verfügung. WLAN-ac, NFC mit Karten-Emulation und Bluetooth 5.0 runden das Paket ab.
MIUI 9 & Android 8
Die Benutzeroberfläche MIUI wird rasant weiterentwickelt. Hauptsächlich chinesische Nutzer dürfen wöchentliche Betaversionen testen, geben Feedback oder äußern Feature-Requests. Teilweise sind diese schon in der nächsten Woche umgesetzt. Entsprechend poliert und durchdacht wirkt das System. Die aktuelle Version ist 9, welches sogar dem Mi 2 von 2012 zur Verfügung gestellt wird — wenn auch dort auf Android 5.0 basierend. In einer Zeit, wo andere Hersteller sogar ihre Spitzengeräte nach einem Jahr vergessen, ist das extrem lobenswert. MIUI ist dabei in zwei Haupt-Branches unterteilt, die chinesische und die globale Version.
An diesem Punkt muss ich erwähnen, dass die Wahl des richtigen Händlers wichtig ist: Während Cyberport für den Verkauf in Europa gedachte Smartphones anbietet, die entsprechend lokalisiert sind und über die allseits beliebten Google Apps verfügen, verkaufen chinesische Händler bevorzugt Smartphones mit einer „Shop-ROM“, die eventuell bei Updates Schwierigkeiten macht und mehr technisches Geschick erfordert. Alternativ werden auch Mi 6 mit chinesischer ROM verschickt. Diese sprechen nur Chinesisch und Englisch, während alle Google Apps durch für den chinesischen Markt gedachte und zugelassene Software ersetzt werden. So fehlt auch der Play Store.
Übrigens: Über das offizielle MIUI-Forum nimmt Xiaomi auch Bewerbungen für Betatester der globalen Version an. Wer es ein wenig abenteuerlicher mag, und immer das allerneueste haben möchte, findet hier sein Nirvana.
Das Mi 6 läuft während des Großteil des Tests mit Android 7.1.1. Die Modifikationen an Android sind umfangreich und überall zu finden. Oftmals leiden darunter aber Bedienbarkeit und Performance. Glücklicherweise ist das aktuelle MIUI 9 gut optimiert und fühlt sich flüssig an — sogar auf meinem fast fünf Jahre alten Mi 3.
Kurz vor Ende des Tests kam ein weiteres Update, aus MIUI 9.2.2.0 wurde 9.2.3.0. Neben Detailverbesserungen bringt es das Mi 6 auf Android 8.0. Den Unterschied sehe ich erst auf dem dritten Blick. Die Trennung von Oberfläche und Betriebssystem ist so gut gelungen, dass es kaum einen Unterschied ausmacht, ob ich MIUI 9 auf meinem Mi 3 mit Android 6.0 oder auf dem Mi 6 mit Android 8.0 nutze. Leider merkt man 9.2.3.0 aber an, dass es die erste 8er-Version ist. So gibt es hier und da Bugs, und das Telefon spricht zu großen Teilen wieder Englisch. Hier heißt es, das nächste Update abzuwarten.
Erste Schritte
Beim Start begrüßt mich der typische Android-Einrichtungs-Assistent, ergänzt um die Aufforderung, ein Mi-Konto einzurichten. Ich nutze meinen alten Account, und das Telefon fängt an die Fotos meines Mi 3 aus der Cloud zu laden. 5 Gigabyte stehen dafür kostenlos zur Verfügung. Außerdem gibt es eine Funktion, die das Mi 6 bei einem Diebstahl lokalisiert und auf Wunsch sperrt. Natürlich ist ein Account nicht nötig, wobei dann nur das Default-Theme genutzt werden kann.
Mit der „Mi Mover“-App erleichtert Xiaomi die Migration vom bisherigen Android-Telefon. Dafür wird „Mi Mover“ auf dem alten Gerät installiert. Es erscheint ein QR-Code, der mit Mi Mover auf dem Mi 6 abfotografiert wird. Schon werden Kontakte, SMS, Medien und Apps auf das neue Gerät kopiert.
Benutzeroberfläche Und das soll Android sein?
Grundsätzlich ist das System iOS nachempfunden, so fehlt zum Beispiel der App-Drawer. Schade, dass Xiaomi Nutzern nicht die Wahl lässt, aber wer möchte, kann andere Launcher installieren. Mich stört, dass ich Slider wie den für die Display-Helligkeit an der aktuellen Position treffen muss, anstatt dass ich einfach das Ziel antippe. An diesem Punkt endet meine Kritik auch schon.
In Design und Funktionsumfang sehe ich jede Menge Liebe zum Detail: Wechsel ich von der Galerie-App zum Homescreen, geht eine Sonne im Galerie-Icon auf, und das Wetter-Icon fasst die aktuelle Lage zusammen. Vieles ist animiert, das Design ist modern, pastellfarben und wird konsequent durchgezogen — wenn man das Default-Theme verwendet.
Die Lokalisierung der globalen Version ist gut gelungen, fast alles ist auf Deutsch, die meisten Übersetzungen sind sinnvoll und verständlich. Das System war im Betrieb größtenteils so stabil wie vergleichbare Smartphones bekannterer Marken.
Software-Features Überall nützliche Funktionen
Mit zahlreichen Features und Apps bietet Xiaomi einen echten Mehrwert gegenüber Stock-Android. So ermöglicht mir ein am Bildschirmrand platzierbarer Halbkreis ohne Verrenkung Tasten wie Home und Zurück zu erreichen. Wie bei Samsung öffne ich die Schnelleinstellungen, indem ich an einem beliebigen Punkt auf dem Homescreen von oben nach unten wische. Darin zu finden sind auch das aktuelle Wetter inklusive passender Hintergrundgrafik sowie der heutige Internetverbrauch.
Die Sicherheits-App ist einen besonderen Blick wert, denn sie bietet umfangreichen Mehrwert. Zahlreiche Funktionen werden hier übersichtlich gesammelt. Virenscanner? Avast ist integriert. Ebenso ein Tool zur Systembereinigung. Detaillierte Informationen über den Datenverbrauch werden mir angezeigt, zudem kann ich genau einstellen, welche App per WLAN, per Datentarif oder gar nicht Zugang zum Internet erhält. So habe ich YouTube verboten meinen wertvollen Traffic aufzubrauchen.
Ebenfalls an dieser Stelle finde ich die Möglichkeit, einzelne Apps per Passwort zu sperren. Perfekt für Dissidenten. Und nutze ich mehrere Accounts, zum Beispiel auf Instagram oder WhatsApp, hilft mir die „Dual Apps“-Funktion. Sie klont die entsprechenden Programme und erstellt ein weiteres Icon. Fortan laufen beide Programme separat voneinander. Und per Second Spaces erstelle ich einen zweiten Nutzer-Account, der komplett vom Ersten getrennt läuft. So können die Kinder die neuesten Games spielen, ohne versehentlich den wichtigen Geschäftspartner anzurufen.
Ich kann das Telefon als Repeater nutzen und ein bestehendes WLAN-Netz mit anderen teilen, die eigentlich keinen Zugang haben. Ideal, wenn ich zum Beispiel auf dem Flughafen für das WLAN zahle. Ebenso teile ich das WLAN-Passwort per QR-Code. Super, wenn ich Freunden schnell Zugang gewähren möchte, ohne das Passwort auf der Unterseite des Routers zu suchen.
Überrascht hat mich der Taschenrechner. Neben den üblichen Modi wie normal und wissenschaftlich bietet er auch einen Währungsrechner und Konverter für Flächen- und Längeneinheiten (ich fahre zum Beispiel jeden Morgen 9.3⁻¹² Lichtjahre zur Arbeit), Temperatur und vieles mehr.
Weiterhin befindet sich ein gut funktionierender Screencast-Rekorder an Board, der auch beim Gaming aufzeichnet — Xiaomi hat an fast alles gedacht. Klar gibt es für viele dieser Features Apps, aber gerade Tools, die tiefe Systemeingriffe erfordern, kann der Hersteller besser und sicherer umsetzen.
Zur Kundenbindung existiert das MIUI-Forum samt dazugehöriger vorinstallierter App: Über sie nehme ich an Gewinnspielen teil, bewerbe mich für das Beta-Programm und erhalte Push-Benachrichtigungen über Postings, in denen neue Features, Firmware-Versionen und weiteres erklärt werden. Und falls ich einen Bug finde, ist er schnell an Xiaomi gemeldet.
Gut, aber nicht herausragend
Neben der regulären 12-Megapixel-Kamera mit Blende f1.8 befindet sich auch eine weitere 12-Megapixel-Kamera mit zweifachem Zoom und Blende f2.6 auf der Rückseite. Beide schließen flach mit dem Gehäuse ab. Die Hauptkamera profitiert von einem optischen Bildstabilisator, der erfahrungsgemäß bei einer viertel Sekunde noch ausreichend stabilisiert. Ist es zu dunkel, helfen eine warmweiße und eine kaltweiße LED.
Per Doppelklick auf Volume-Down startet die Kamera-App binnen ein bis zwei Sekunden. Sie ist eher spartanisch gehalten, und orientiert sich seit dem Update von MIUI 9.0.2.0 auf 9.2.2.0 noch deutlicher am großen Vorbild Apple. So erreiche ich den Video-Modus, genauso wie alle anderen Modi nur durch Wischen oder Tippen auf eine kleine Textzeile, die nicht genug Platz für alle Modi bietet. Leider hat sich der Portrait-Modus zwischen Foto und Video gezwängt, was je nach Präferenz stören kann. Bei der Belichtungskorrektur verwandelt sich die Sonne bei Unterbelichtung in einen Mond — eine hübsche Spielerei.
Im manuellen Modus stehen deutlich mehr Einstellungsmöglichkeiten zur Verfügung, wie Belichtungszeit, ISO und der Weißabgleich in 100 Kelvin-Schritten. Zudem erleichtert Fokus-Peaking das manuelle Scharfstellen. Auf Raw-Fotos muss ich aber leider verzichten, ebenso auf Einstellungsmöglichkeiten bei Videos.
Da der Autofokus kontinuierlich arbeitet, sind die Auslösezeiten meistens angenehm kurz. Damit verpasse ich nie den richtigen Moment. Lediglich bei Dunkelheit ist das System hin und wieder überfordert, in dem Fall ermöglicht der manuelle Modus aber auch das Fokussieren von Hand.
Bei Videos beträgt die maximale Auflösung 4K, zusätzlich stehen Zeitraffer und Zeitlupe bei 720p zur Verfügung. Sämtliche Videofunktionen werden von der Hauptkamera umgesetzt, wobei aber nur der mittige Teil des Sensors genutzt wird. Weitwinklige Videos sind somit unmöglich. Zudem ist die Vorschau ziemlich grob: Es sieht aus als ob eine DVD hoch skaliert wurde. Das Ergebnis hingegen ist so scharf, wie man es von einer 4K-Aufnahme erwarten darf. Der Autofokus funktioniert gut und ohne Pumpen, das heißt ohne alle möglichen Punkte hin und her durchzuprobieren.
Natürlichere Aufnahmen mit dem Update auf Android 8.0
Mit dem Update auf Android 8.0 hat sich die Bildqualität deutlich gebessert. Während es zuvor bei optimalen Bedingungen aufgrund eines zu aggressiv agierenden Rauschfilters an feinen Details fehlte und fast wie ein überschärftes Ölgemälde wirkte, überzeugen Bilder jetzt mit zahlreichen Details. Das leichte Rauschen wirkt eher wie Filmkorn und trägt damit zum positiven Eindruck bei. Die Fotos sehen natürlich aus mit leichter Unterbelichtung sowie Zurückhaltung bei der Sättigung. So stechen die Aufnahmen nicht ins Auge, leiden dadurch aber auch nicht an ausgefressenen Highlights, die für immer verloren sind.
Verschlechtern sich die Lichtverhältnisse, überzeugt das Mi 6 schon zu Android-7.1-Zeiten mit Zurückhaltung beim Entrauschen. Es akzeptiert die Limitationen des kompakten Sensors, und wertet das Bild mit dezentem Filmkorn auf. Zudem kann die Kamera mehrere Fotos in unmerkbar kurzer Folge machen: Die Aufnahmen werden gemittelt, das Ergebnis sieht aus, als ob es mit niedrigerer ISO gemacht wurde. Selbst ISO 6400 halte ich für akzeptabel.
Die Zoom-Kamera weist ähnliche Eigenschaften auf, aufgrund der Kombination aus niedrigerer Lichtempfindlichkeit, fehlender Stabilisierung und kleinerer Blendenöffnung wechselt das Mi 6 aber schon bei ISO 400 auf den Digitalzoom. Das Ergebnis kann sich aber sehen lassen, und fällt erst auf dem zweiten Blick als Fake auf.
Apropos Fake: Der Portrait-Modus erkennt dank beider Kameras, wie weit unterschiedliche Bereiche im Bild entfernt sind. Mit dieser Tiefeninformation wird der Hintergrund weichgezeichnet, für einen Effekt wie bei großen Spiegelreflexkameras. Auf den ersten Blick funktioniert das gut, bei genauerer Betrachtung fallen aber manchmal unsaubere Übergänge auf – ein Problem, das auch andere Smartphones mit diesem Feature haben.
Akkulaufzeit Lädt schnell, hält lange
Der fest verbaute Akku mit 3.350 Milliamperestunden hält in der Regel problemlos einen Tag intensiverer Nutzung durch. Was mir aber noch viel besser gefällt, sind die Ladezeiten. Das Originalladegerät schafft eine Leistung von bis zu 19 Watt. Nach nur einer Stunde und 15 Minuten ist der Akku zu 100 Prozent geladen, wobei nach 20 Minuten bereits 43 Prozent und nach 30 Minuten 64 Prozent erreicht sind. Das Netzteil schafft übrigens 22 Watt, wodurch es selbst bei intensiver Smartphonenutzung noch lädt. Die Ladegeschwindigkeit wird bei warmem Akku reduziert, damit dieser möglichst lange hält.
Das Mi 6 unterstützt sogar das Netzteil meines Samsung-Tablets (USB Typ C mit Power Delivery) und zieht mit 15 Watt Strom. Auch über meinen günstigen QuickCharge-Adapter im Auto lädt das Xiaomi schnell und zuverlässig auf. Beide Netzteile streiken manchmal mit meinem LG V20, und laden nur sehr langsam oder gar nicht auf. Eine einstündige Fahrt reicht aus, um von 20 auf 80 Prozent zu kommen. Und das, obwohl das Display ständig an ist, ich per Bluetooth Musik streame und Google-Maps-Navigation sowie ein GPS-Logger läuft. Mit einem stärkeren Netzteil ginge es vermutlich noch schneller. Ein leerer Akku ist also kein großes Problem. In der Praxis lade ich das Smartphone einfach bei der Hinfahrt zur Arbeit auf. Das reicht bis zum nächsten Morgen.
Für belastbare Zahlen benutze ich den Akku-Test von GeekBench. Demnach, mit hoher Prozessorlast und Display auf halber Helligkeitsstufe, hat der Akku sieben Stunden durchgehalten. Respekt.
Spezifikationen sind nicht alles
Auf dem Papier enttäuscht das Full-HD-Display mit IPS. Da bieten S8 und Co. deutlich mehr. Und in der Tat, die Schwarzwerte sind zwar okay, aber OLED-Displays sind hierbei besser. Aber während die Samsung-Displays zum Grünstich neigen, und LG bevorzugt kalt einstellt, hat das Xiaomi Mi 6 ein wie ich finde hervorragend kalibriertes Display. Die Farben sind natürlich und kräftig ohne es zu übertreiben und ohne Farbstich. Es kommt aktuellen iPhones, MacBooks und iMacs sehr nahe. Zusätzlich kann die Farbtemperatur auf warm, natürlich und kühl eingestellt werden.
Die Blickwinkelstabilität ist gut, die Ausleuchtung relativ gleichmäßig. Mit 600 Candela pro Quadratmeter Helligkeit liegt es zudem auf Augenhöhe mit der Smartphone-Elite. In einem Displaymodus hellt das Mi 6 außerdem dunkle Bereiche auf, sodass das Display auch bei starkem Sonnenschein klar lesbar ist. Um die Augen nachts zu schonen, ist die minimale Helligkeit besonders niedrig und natürlich existiert auch ein Blaufilter.
Bleibt die Auflösung: Bei 13 Zentimetern (5,15 Zoll) reicht Full HD völlig aus. Das Bild ist gestochen scharf. Dafür muss der Prozessor weniger Pixel berechnen — gut für Performance und Akkulaufzeit. Und wische ich vom Home-Button aus zur Seite, verkleinert sich das Display auf 3,5, 4 oder 4,5 Zoll. Damit benutze ich das Telefon problemlos mit einer Hand.
Sound Kopfhörer & Lautsprecher
Mit dem mitgelieferten USB-Typ-C-Adapter schließe ich Kabel-Kopfhörer an. Der Klang geht in Ordnung. Gleichzeitig Laden und Musik hören geht allerdings nicht — gut, dass die Ladezeiten so kurz sind. Wer voll im Xiaomi-Universum angekommen ist, findet zudem verschiedene Profile für die vielen Xiaomi-Kopfhörer — die ironischerweise in der Regel einen Klinkenstecker besitzen.
Der Hauptlautsprecher sitzt unten rechts und wird ausreichend laut. Zur Unterstützung hilft der Hörer mit, auch wenn er eher als Hochtöner zu verstehen ist. Dadurch entsteht ein leichter Stereo-Effekt. Leider kann der obere Lautsprecher aber von der Lautstärke her nicht mithalten und so ist das Erlebnis nicht so gut wie bei der handvoll Smartphones mit zwei gleichwertigen Lautsprechern an der Frontseite. Immerhin reicht es aus, um unter der Dusche einen Podcast zu hören. Der Hochtöner trägt dabei wesentlich zur Verständlichkeit bei. Für Musik ist es allerdings eine Notlösung, denn Bässe glänzen durch fast vollständige Abwesenheit.
Die Musik-App sieht gut und modern aus, mit attraktiven Icons und viel Cover-Artwork. Auch Spielerei darf nicht fehlen, und so rotieren Alben-Cover beim Abspielen klein in der Ecke, wie eine Schallplatte. Schlafmodus (nach 30 Minuten stoppt die Wiedergabe) und das einfache Teilen von Musikdateien gefallen mir ebenfalls. Nur leider scheitert die App an einer grundlegenden Sache: Ich kann nicht erst Künstler und dann Album auswählen. Auf Künstler folgen alle Lieder des Musikers, alphabetisch sortiert. Der chinesische Markt hat da anscheinend andere Hörgewohnheiten und ist Konzeptalben nicht gewöhnt.
USB-C Was kann der Port alles?
USB Typ C verspricht, die eierlegene Wollmilchsau unter den Anschlüssen zu werden. Doch kann sich hinter dem Port alles mögliche befinden, vom schnöden USB 2.0 ohne Zusatzfeatures bis hin zu Thunderbolt 3 mit externen Grafikkarten. Mit meinem Samsung-Multiport-Adapter probiere ich daher den Port aus. HDMI funktioniert nicht — schade, mit meinem LG V20 geht es.
Dafür funktioniert der USB-Port. Eine externe 2,5 Zoll Festplatte mit exFAT-formatiert wird problemlos erkannt. So kopiere ich zum Beispiel meine Fotos mit voller Geschwindigkeit auf den Massenspeicher. Auch schafft es das Mi 6, das Laufwerk ausreichend mit Strom zu versorgen — bis der Akku bei null Prozent ist. Da die Festplatte aber einen hohen Stromverbrauch besitzt, sollten lange Akkulaufzeiten nicht erwartet werden. Zum Sichern der Urlaubsfotos reicht die Zeit aber locker. Und mit einem Netzteil am Hub lädt das Mi 6 sogar auf. Leider wird NTFS nicht unterstützt.
Fazit Leistungsstark, einfach zu bedienen & zukunftssicher
Kommen wir zum Fazit, und zur Eingangs gestellten Frage: Ist Xiaomi nun ein guter oder ein großartiger Künstler?
Dass Xiaomi sich von Apple und anderen Herstellern inspirieren lässt, ist offensichtlich, aber meiner Meinung nach bleibt es meistens bei der Inspiration. Xiaomi nimmt sich Ideen und macht sie sich zu eigen, interpretiert neu, und fügt eigene Gedanken hinzu. Gekoppelt mit sehr leistungsstarker Hardware und viel Entwicklungsaufwand entsteht so ein Smartphone, dass mehr als die Summe seiner (bereits beachtlichen) Einzelteile ist.
Das Mi 6 ist durch die Bank weg schnell, mit einem angenehmen und durchdachten Nutzerinterface. Dabei wurde Aufwand betrieben, der gar nicht nötig ist, aber das Gefühl vermittelt, man halte etwas besonderes in der Hand. Ähnlich wie bei Uhren, die von Hand mit Perlschliff und Genfer Streifen im Uhrwerk veredelt werden.
Gerade Fans kleinerer Smartphones werden hier fündig, denn, obwohl das Display nur 5,15 Zoll Bildschirmdiagonale misst und es auffallend schlank ist, wurde Top-Hardware verbaut: High-End-Prozessor, extrem viel RAM, Dual-Kamera sowie ein größerer Akku als beim Galaxy S9 – und das zu äußerst attraktiven Preisen. Das Mi 6 ist auf dem Smartphone-Markt eine Seltenheit, denn diese Specs sind üblicherweise Bestandteil größerer und teurerer Modelle.
Eine Sonderstellung auf dem Android-Markt erlangt das Mi 6 dadurch, dass Xiaomi erfahrungsgemäß über viele Jahre hinweg Software-Updates samt neuer Features anbietet. In Kombination mit der überdimensionierten Hardware ist das Xiaomi Mi 6 also ein Smartphone, das auch in Jahren noch Spaß machen wird.