Ein Tilt- & Shift-Objektiv ist ein Objektiv, das durch eine spezielle mechanische Vorrichtung das Kippen (engl.: tilt) und das Verschieben (engl.: shift) der Optik im Verhältnis zu Film oder Sensor ermöglicht. Das Kippen und Verschieben der Optik hat jeweils spezielle Konsequenzen auf die Abbildungseigenschaften des optischen Systems.
Normalerweise befindet sich die optische Achse senkrecht zur Projektionsebene. Das führt dazu, dass Objekte, die gleich weit entfernt sind, scharf abgebildet werden. Beim Kippen der optischen Achse, läuft die Schärfeebene immer noch orthogonal zur optischen Achse, aber schräg zur Abbildungsebene. Die Schärfe verläuft nur noch in einem schmalen Streifen durch das Bild, dessen Breite abhängig von Brennweite und Blende ist (Scheimpflugsche Regel). Neben der Produktfotografie, wo bspw. Schrägansichten von Geräten durchgängig scharf dargestellt werden können, spielt die Verwendung des Tilt-Effekts (oft auch fälschlicherweise Tilt-&-Shift-Effekt genannt) als Bildgestaltungselement eine beliebte Rolle: Bei entsprechender Positionierung der Schärfeebene wirken die Aufnahmen durch die punktuelle Schärfe und die großen Unschärfebereiche wie Makroaufnahmen einer Miniatur-Landschaft.
Die menschliche Wahrnehmung ist ein komplexes System, das von optischen und psychologischen Einflüssen beeinflusst wird. Ein Phänomen ist die Wahrnehmung von vertikalen Linien: Ob in einem Raum oder beim Sehen eines Gebäudes "stellt das Gehirn die Vertikalen automatisch gerade". Bei der Architekturfotografie wird versucht, diese Wahrnehmung nachzuahmen, indem man die Bildung eines dritten Fluchtpunkts in der Zentralperspektive vermeidet. Hierfür muss der Sensor der Kamera parallel zu den Vertikalen des abgebildeten Objekts bleiben. Bei der Fotografie eines hohen Gebäudes wird also nicht die Kamera gekippt, sondern das Objektiv in die entsprechende Richtung verschoben. Shift-Objektive erfordern einen wesentlich größeren Bildkreis als normale Optiken.
In den Anfängen der Fotografiegeschichte waren Objektive meist per Faltbalgen mit dem Kameragehäuse verbunden und der Fotograf hatte die Möglichkeit, die optische Achse zu verschieben oder zu kippen. Während die Fach- und Großformatkameras weiterhin mit dieser Technologie ausgestattet waren, verloren die System- und Sucherkameras die Option von Tilt & Shift zugunsten von Handhabbarkeit und Zuverlässigkeit. Erst in den 1960er-Jahren gab es für das 35-mm-Kleinbildformat verschiebbare Objektive. Die aktuellen hochwertigen, KB-Tilt-Shift-Objektive von Canon, Nikon und Hartblei liegen mit Preisen von mehreren Tausend Euro im Profi-Segment. Günstigere, aber optisch weniger anspruchsvolle Optiken, die teilweise auch nur Shift- oder Tilt-Funktion beherrschen, sind als sog. "Linse im Deckel"-Modelle (engl.: Lens in a Cap) erhältlich.
Zuletzt aktualisiert am 10.11.2017 von Cyberport-Redaktion